PRESSEMITTEILUNG
Am 28. November 2023 stellte der Abgeordnete Frédéric Maillot von der Insel Réunion eine Anfrage an die [französische] Regierung: “Wenn der französische Staat vertrauliche verteidigungsbezogene Dokumente freigegeben hat, warum wurden dann die Dokumente, die unter das nationale Verteidigungsgeheimnis fallen, nicht zurückgegeben?”[i] . (siehe https://www.thomassankara.net/affaire-sankara-depute-frederic-maillot-interpelle-gouvernement-a-lassemblee-nationale/ ).
Der für die Regierung mit der Beantwortung beauftragte stellvertretende Minister für Außenhandel, Wirtschaftsförderung und Französ*innen im Ausland, Olivier Becht, erklärte daraufhin: “... Frankreich hat also die von Präsident Emmanuel Macron im November 2017 in Ouagadougou eingegangene Verpflichtung eingehalten, alle Dokumente zu übermitteln, alle Dokumente, die von den französischen Behörden während des Regimes von Sankara und nach seiner Ermordung erstellt wurden, das Versprechen wurde also eingehalten, die Dokumente wurden übermittelt“.
Wir konnten jedoch Anwält*innen der Nebenkläger*innen erreichen, die die Familien der Opfer vom 15. Oktober 1987 vertraten und die uns bestätigten, dass Frankreich keine GEHEIMEN VERTEIDIGUNGSDOKUMENTE, sondern nur VERTRAULICHE VERTEIDIGUNGSDOKUMENTE zur Verfügung gestellt hatte.
Zur Erinnerung weisen wir noch einmal auf die Zusage von Emmanuel Macron hin, die er am 29. November 2017 in Ouagadougou in Anwesenheit des damaligen burkinischen Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré vor einem Studierendenhörsaal machte: “Ich habe die Entscheidung getroffen, dass alle Dokumente, die von französischen Behörden während des Sankara-Regimes und nach seiner Ermordung erstellt wurden, … die unter das nationale Geheimnis fallen, freigegeben und als Antwort auf die Anfragen der burkinischen Justiz konsultiert werden können”.
Es wurde vermieden, auf die vom Abgeordneten gegebene Präzisierung einzugehen, und sich mit einer Antwort begnügt, die sich als eine weitere Staatslüge herausstellt, wie es die französischen Behörden jedes Mal wiederholen, um Zeit zu gewinnen, wenn sie versprechen, geheime Verteidigungsdokumente herauszugeben, weil sie von einer*m Richter*in oder den Familien der Opfer gedrängt werden. In Wirklichkeit hebt Frankreich so gut wie nie die Geheimhaltung von geheimen Verteidigungsdokumenten auf. Im Fall Sankara tat es dies nicht, sondern gab lediglich vertrauliche Verteidigungsdokumente frei.
Die Methode besteht darin, Versprechungen zu machen, um die Forderung des Moments zu erfüllen, sogar in Anwesenheit des direkt betroffenen Staatschefs, und dann nichts zu tun, um die Verpflichtungen einzuhalten. Sie spiegelt die tiefe Verachtung wider, die Emmanuel Macron und die französischen Behörden gegenüber ihren afrikanischen Amtskollegen, der afrikanischen Bevölkerung und den Familien der Opfer der Ermordung von Thomas Sankara und seinen 12 Gefährten am 15. Oktober 1987 an den Tag legen. Eine Haltung, für die Frankreich in der Subregion sehr teuer bezahlt hat, wie man in der letzten Zeit feststellen kann.
Wir protestieren scharf gegen diese neue Staatslüge bezüglich des Verteidigungsgeheimnis, dessen Dokumente wieder einmal nicht freigegeben wurden. Es wurden nur die vertraulichen Verteidigungsdokumente freigegeben, deren Geheimhaltungsgrad niedriger ist.
Wir rufen die Abgeordneten des französischen Parlaments auf, diese Missachtung zurückzuweisen, von Präsident Emmanuel Macron die Einhaltung des gegebenen Wortes zu fordern und ihre Solidarität mit den Familien der Opfer vom 15. Oktober 1987 auszudrücken, die seit viel zu vielen Jahren für die Wahrheit kämpfen.
Die Lügen und das Zaudern der französischen Behörden im Zusammenhang mit der Übergabe der deklassifizierten Archive im Fall Sankara verstärken nur den Verdacht, dass die französische Regierung eine Rolle bei der Beteiligung Frankreichs an der Verschwörung zur Ermordung Thomas Sankaras gespielt haben könnte.
Frankreich muss sein Versprechen einhalten und alle geheimen Verteidigungsdokumente im Zusammenhang mit dem Mord an Sankara und seinen Gefährten freigeben und sie der burkinischen Justiz übergeben!
Erstellt in Paris, Ouagadougou, Ottawa, Bamako, Las Palmas de Gran Canaria, Toulouse, Rom, Dakar, Turin, Ajaccio, Banfora, Bobo Dioulasso, Niamey, Brüssel, Lüttich, Barcelona, Berlin, Basel am 12. Dezember 2023.
Das internationale Netzwerk Gerechtigkeit für Thomas Sankara Gerechtigkeit für Afrika
Kontakt: contactjusticepoursankara@gmail.com
[i] An dieser Stelle ist es angebracht, einige Präzisierungen vorzunehmen. Bis 2021 gab es drei Geheimhaltungsstufen: vertraulich, geheim und sehr geheim. Durch eine Reform im Juli 2021 wurden die ersten beiden zu secret defense zusammengefasst (siehe https://www.sgdsn.gouv.fr/nos-missions/proteger/proteger-le-secret-de-la-defense-nationale/reforme-de-la-protection-du-secret).
Nun wurde das dritte Paket der von den französischen Behörden bereitgestellten Dokumente der burkinischen Justiz im April 2021 übergeben, also vor der Reform klassifiziert. Das heißt, zum Zeitpunkt der Übergabe war die Einstufung in drei Geheimhaltungsstufen bereits im Gange. Der Begriff Staatsgeheimnis bezeichnete damals alle drei Geheimhaltungsstufen.