Kürzlich neu erschienen ist eine deutschsprachige Podcastfolge des Podcast „Geschichte der kommenden Welten“ zu Thomas Sankara: https://www.podcast.de/episode/631802989/gkw16-thomas-sankara-panafrikanischer-revolutionaer-und-oeko-sozialist.  Der Podcast ist mit verschiedenen Sprecher*innen und diversen Medien abwechslungsreich gestaltet, macht Spaß zu hören und ist bis auch wenige Details für einen Podcast sehr gut recherchiert.

Die Podcastfolge eignet sich sowohl als Einführung, um sich neu mit Thomas Sankara oder gar Burkina Faso zu beschäftigen – er ist durch seine Querverweise und historische Einordnungen jedoch auch interessant für Sankara-Kenner*innen. Bei den Querverweisen geht es u.a. um das in Deutschland vermittelte Afrikabild, den „Entwicklungs“begriff sowie um die Frage, was die Dürre zu Zeiten Sankaras und die damit in Zusammenhang stehende Desertifikation (Verwüstung) mit der damaligen Kohleverbrennung in Europa und Nordamerika zu tun hat: Sulfatemissionen hatten den Nordatlantik abgekühlt, wodurch der afrikanische Monsunregenzyklus weniger weit als „normal“ im Norden als Niederschlag fiel und Burkina Faso in den Jahren 1983/84 eben nicht oder kaum erreichte.

Klassischerweise werden die zahlreichen Errungenschaften Sankaras näher erläutert, teilweise mithilfe von Interviewauszügen des in Deutschland lebenden burkinischen Musikers Ezé oder mithilfe von Ausschnitten aus dem englischsprachigen Dokumentarfilm „The Upright Man“, einschließlich von Reden Sankaras.

Hierbei haben sich jedoch zwei kleine Fehler eingeschlichen, die auch häufiger in anderen Medien zu finden sind: Weder Polygamie noch weibliche Genitalverstümmelung wurden unter Sankara faktisch verboten, wie ich auch in meiner Masterarbeit (S. 44f, S. 53) ausführe, hier eine Zusammenfassung dessen:

Als die CDR-Frauen des Dienstleistungssektors vorschlugen Polygamie zu verbieten, rief Sankara Frauenvertreterinnen der von seiner Regierung initiierten UFB (Union des Femmes Burkinabè) aus allen Provinzen zusammenrufen, um zu dem Thema abzustimmen. Die Frauen aus den verschiedenen Provinzen stimmten für die Beibehaltung der Polygamie und erklärten, dass sie die anderen Frauen im Haushalt bräuchten, um sich die Aufgabe der Kinderbetreuung zu teilen, damit sie sich anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten widmen können. Infolgedessen wurde ein Kompromiss beschlossen, der die Polygamie als Option beibehält, aber die Monogamie empfiehlt (Zeitzeuginnenbericht von Damata Ganou auf droitlibre.tv).

Auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung war die Regierung Sankaras vom Widerstand der Frauen vor allem in ländlichen Gebieten überrascht (Diallo 2015, S. 311). Daraufhin ließ sich die Regierung auf Kompromisse ein und hoffte auf eine langfristige Lösung durch Aufklärung und Information (ebd.). Wie Moustapha Diallo richtig feststellt, beweist dies den Respekt, den Sankara und seine Regierung gegenüber dem Willen des Volkes hatten, das sie zu überzeugen versuchten, anstatt es zu zwingen.

Diese beiden Beispiele passen zudem sehr gut zu einer Ergänzung, die ich gerne vornehmen würde: Ganz zum Schluss des Podcast bleibt nämlich die dort unbeantwortete Frage, ob Sankara auch eine Demokratisierung der Gesellschaft gefördert hätte. Hier würde ich gerne erneut auf meine Masterarbeit (S. 34-55) verweisen, die diese Frage in ihrer Radikalität und ihen gleichzeitigen Ambivalenzen ausführlich darzulegen versucht. Zusätzlich zur bereits genannten Vereinigung burkinischer Frauen in allen Provinzen und Sektoren, schuf die Regierung Sankaras ähnliche Strukturen auf bäuerlicher Ebene, sowie mit den Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDRs) allgemein zugängliche Mitbestimmungsstrukturen, wo sich selbst in Burkina Faso lebende Ausländer*innen beteiligen konnten (S. 60). Zusammenfassend lässt sich sagen:

Die CDRs schufen eine institutionelle Struktur zur Unterstützung bestehender Basisinitiativen, förderten die Selbstorganisation und ermöglichten es der Bevölkerung, aktiv an der Politik teilzunehmen, lokale Probleme zu definieren und Lösungsvorschläge zu machen. Auf der Basisebene der CDRs, einschließlich Unternehmens-, Dorf- und Bezirks-CDRs, wurden Vertreter gewählt und Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip getroffen. Nationale Entwicklungspläne wurden dezentral und partizipativ erstellt. Die Möglichkeiten der politischen Teilhabe für die Bevölkerung und somit das Maß der Demokratisierung in Burkina Faso während der Revolution waren somit höher als in den meisten repräsentativen Demokratien, obwohl die Führung nicht demokratisch legitimiert war und Tendenzen zur Unterdrückung von Dissidenten bestanden. Nicht zuletzt spielte politische Bildung eine wichtige Rolle bei der Dekolonisierung und Depatriarchalisierung der Gesellschaft.

Gegen Ende hin, gibt der Podcast noch einen kurzen biographischen Überblick und fasst den aktuellen Stand der letzten Jahre bezüglich der Aufklärung der Ermordung Sankaras zusammen. Die 1 Stunde, 19 Minuten lohnen sich allemal, um Neues dazuzulernen bzw. das Gedächtnis aufzufrischen und die am Podcast beteiligten Personen sind auch einfach sehr sympathisch, sodass ich persönlich Lust bekomme habe, mir auch andere Folgen anzuhören.

 

Fiona Faye ist seit diesem Jahr Freiwillige für das Online-Archiv thomassankara.net. Sie ist Doktorandin an der Uni Kassel und forscht zu: ‘Von Thomas Sankara lernen: Die Politik der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln als Widerstand gegen das neoliberale Handelsregime heute und damals’.

 

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