Vor 25 Jahren taufte er Burkina Faso das „Land der Aufrechten“: Thomas Sankara war Fallschirmjäger, Gitarrist, Revolutionär, Präsident. Er wurde gestürzt, erschossen und verscharrt. Nun rittern die Putschisten von einst um eine Neuverteilung der Macht – teils sogar von Wien aus.

Von Josef Barth

Die Straße der Freiheit ist eine holprige. Auf der Avenue de la Liberté von Ouagadougou rumpeln die Wagen über tiefe Schlaglöcher in der rotbraunen Schottererde. Geteert wurde hier nie. Nur dort, wo die Verkehrsader in Burkina Fasos Herzen von der Avenue de l’Armée gekreuzt wird, wirkt sie plötzlich aufgeräumt und problemlos befahrbar. Die Straßennamen seiner Hauptstadt erzählen viel über die Geschichte Burkinas.

Nirgendwo wehen Flaggen, nirgendwo steigen Paraden: nicht einmal am parallel verlaufenden Boulevard der Revolution. Dabei hätte Burkina Faso dieser Tage Grund zu feiern. Vor genau 25 Jahren, am 5. August 1984, taufte Revolutionsführer Thomas Sankara das damalige Obervolta nach einem Staatsstreich auf den Namen Burkina Faso, das „Land der Aufrechten“.

„Thomas Sankara hatte das Zeug, eine Hoffnung für ganz Afrika zu werden“, sagt der UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler, der ihn noch persönlich kannte. Ein Mann, ein Held: Seine Ausstrahlung habe die Menschen in den Staaten um Burkina begeistert, und er sei „gefährlich für die neokolonialen Machthaber in den Präsidentenpalästen“ gewesen.

Doch ein Vierteljahrhundert später soll nichts an eine Ikone der afrikanischen Selbstbestimmung erinnern. Denn jene, die sie stürzten, sind bis heute an der Macht.

Man muss den Straßen Ouagadougous schon sehr lange folgen, um das Grab Thomas Sankaras zu finden. Das vielleicht größte politische Talent Afrikas wurde auf einem verlassenen Friedhof verscharrt, der übersät mit Plastikfetzen mehr einer Müllhalde als einer Gedenkstätte gleicht.

Doch Sankaras Geschichte mit all seinen Ingredienzien taugt zur Ikonenbildung: Als Fallschirmjägeroffizier diente er in Marokko und Madagaskar, als Gitarrist einer Rockband hatte er ein Faible für schnittige Motorräder. Mit eiserner Selbstdisziplin taugte er als Vorbild, sein provokanter Humor und sein freches Lächeln machten ihn zum Liebling des Volkes. Und seinen Tod betrachten viele Anhänger als den eines Märtyrers.

Als Sankara 1983 an die Macht kommt, bekämpft er die in Afrika allgegenwärtige Korruption und lebt selbst stets spartanisch. Legendär ist sein Verkauf der Mercedes-Dienstwagenflotte der damaligen Ministerriege. Die hohen Politiker sollten, wie er, nur noch im kleinen Renault 5 oder öffentlich zweiter Klasse reisen. Privilegierte Beamte kontrollierte er frühmorgens auch persönlich, ob sie ihren Dienst versahen.

Gemeinsam mit Ghanas Präsident Jerry Rawlings, zu dem er gute Kontakte pflegt, ist Präsident Sankara der progressivste afrikanische Staatschef seiner Zeit. Seine realpolitische Agenda war für die achtziger Jahre nachgerade bahnbrechend. Er verbietet die Beschneidung der Frauen, setzt sich für deren Gleichberechtigung ein und verurteilt die gängige Praxis von Polygamie und auch Bigotterie. „Wenn ein Mädchen schwanger ist, fliegt es von der Schule. Niemand fragt danach, ob der Junge, der sie geschwängert hat, in der gleichen Klasse sitzt.“ Sankara initiiert Impfprogramme für 2,5 Millionen Bürger, erkennt in der Ausbreitung der Wüsten lange vor anderen die Umweltproblematik im Sahel und startet Aufforstungsprogramme.

Stärke durch Autarkie.

Vor allem aber soll sich Burkina Faso vom wirtschaftlichen Gängelband des ehemaligen Mutterlands Frankreich lösen, von den Hilfslieferungen, von den Transferzahlungen. „Manche fragen: Wo ist der Imperialismus?“, hört man ihn in alten Reden donnern. „Seht auf eure Teller! Die Hirse, der Mais …“ All das müsse man selbst erwirtschaften. In nur vier Jahren seiner Amtszeit verdoppelt Burkina Faso mit Bewässerungs- und Düngeprogrammen die landwirtschaftliche Produktion.

Dazu kooperiert Sankara am Höhepunkt des Kalten Kriegs auch mit Russland, Kuba oder Libyen und stößt so die westliche Welt vor den Kopf. Bei einem Treffen mit Frankreichs Premier François Mitterrand darauf angesprochen, lächelt er nur schelmisch: „Wir suchen für unsere Entwicklung Partner. Wenn uns ein näher gelegenes Land die weite Reise nach Moskau oder Kuba ersparen will, gern. Ich habe noch nie Hilfe abgelehnt, die mir angeboten wurde. Was mir fehlt, ist eine Concorde, für die andere offenbar Geld haben.“

Im Gegensatz zu Kubas Che Guevara, dem ewigen Revolutionär, trug Sankara die Uniform des staatlichen Militärs. Vielleicht eignete sich „Le Capitaine“ mit dem roten Offiziersbarett im Gegensatz zu „El Comandante“ deshalb nicht so sehr zur Ikone der jungen Linken.

Doch auch der Militär fiel dem Militär zum Opfer.

Am 13. Oktober 1987 wird Thomas Sankara während einer Sitzung von der Leibgarde seines engsten Mitstreiters, Blaise Compaoré, erschossen. Er habe sich zu sehr von seinen eigenen Idealen entfernt, wird es später heißen. In seinem Totenschein steht, er starb eines „natürlichen Todes“. Compaoré macht sich tags darauf zum Präsidenten und nimmt wieder freundschaftliche Beziehungen zu Frankreich auf.

„Ein Revolutionär, der jung stirbt, hat eben nicht die Chance, sich sonderlich unbeliebt zu machen“, sagt der Wiener Afrikanistik-Professor Walter Schicho. Viele der großen Revolutionäre Afrikas wären mit tollen Ideen angetreten, schließlich aber von der Macht korrumpiert worden. „Vielleicht ist er einfach rechtzeitig gestorben.“

Nun, 25 Jahre später, könnte es langsam an Sankaras Nachfolger sein abzutreten. Präsident Blaise Compaoré wird Politikmüdigkeit nachgesagt. Ähnlich wie Kubas Fidel Castro wolle er seinen Bruder als Nachfolger installieren. Kommendes Jahr endet seine vierte Amtszeit. Zwei Amtszeiten waren ursprünglich verfassungsrechtlich vorgesehen. Potenzielle Konkurrenten bringen sich langsam in Stellung, einer davon unter Umständen sogar von Wien aus. Compaorés einst engster Verbündeter, Ex-Agrarminister Salif Diallo, regte in einem Interview kürzlich an, Burkina Faso nicht in ein patriarchal-monarchistisches System abgleiten zu lassen, und löste damit eine große politische Debatte aus. Diallo selbst gilt ebenfalls als präsidiabel, wurde aber 2008 nach innerpolitischen Konflikten ins Ausland geschickt: just nach Wien, wo er seit einem Jahr als Botschafter Burkina Fasos amtiert.

Sollte Compaoré selbst im Amt bleiben wollen, bezweifeln die Burinkabe, dass jemand das Zeug hätte, ihm ernsthaft die Stirn zu bieten. Das, so sagt man, hätte nur einer gehabt. Und der ruht mit seinen engsten Vertrauten seit langer Zeit auf dem Friedhof in einem Randbezirk der Hauptstadt.

Die Straßennamen erzählen viel über Burkinas Geschichte. Der Boulevard der Revolution heißt mittlerweile nur noch Boulevard der Unabhängigkeit – zumindest bis zum Palast des Präsidenten. Dann macht er einen scharfen Knick. Von dort an heißt er plötzlich wieder Boulevard Charles de Gaulle, nach dem Staatschef der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich …

Die Straße der Freiheit ist eine holprige in Ouagadougou. Sie ist noch immer nicht gänzlich geteert.

Mitarbeit: Amelia Umuhire 24/08/2009

Source : http://www.profil.at/

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