In Afrika ein Idol wie Che und Martin Luther King: Vor 20 Jahren starb Thomas Sankara

 

Thomas Sankara muss es geahnt ha¬ben. „Die Geschichte wird mich beurtei¬len", hat er einmal gesagt. Die Geschich¬te hat ihn beurteilt. Der ehemalige Präsi¬dent von Burkina Faso ist zum Idol der afrikanischen Jugendlichen geworden. Sie brauchen keinen Che Guevara, kei¬nen Martin Luther King. In Sankara ha¬ben sie ihren eigenen, ihren afrikani¬schen Märtyrer gefunden. Er wurde am 15. Oktober 1987 nach vier Jahren Amts¬zeit erschossen. Da war er 37 Jahre alt.

Seit dem Mord pilgern jedes Jahr in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober junge Menschen aus ganz Afrika zum Friedhof de Dagnoin in der Hauptstadt Ouagadougou. Manche übernachten ne¬ben Sankaras Grab. Sie zünden Kerzen an, spielen seine Reden nach. Zum Bei¬spiel die vor dem französischen Präsiden¬ten Frangois Mitterrand von 1986. Der hatte gerade den südafrikanischen Apart¬heidspräsidenten Pieter Willem Botha empfangen. „Ein Mörder hat das reine Frankreich befleckt", sagte Sankara. Mitterrand ließ ihn wissen, dass ihn die Erfahrung lehren werde, ungestüme Wor¬te zu vermeiden. Sankara lächelte nur.

Solche Souveränität gegenüber den früheren Kolonialherren machte Sanka¬ra zum Idol für die Afrikaner. Endlich gab ihnen jemand ihren Stolz, ihre Wür¬de zurück. Sankara lehrte sie, ihr Schick¬sal selbst in die Hand zu nehmen. „Nah¬rungsmittelhilfe macht uns abhängig. Wenn Ihr wissen wollt, was Imperialis¬mus ist, schaut auf Eure Teller", erklärte er. Er rief die Bauern auf, mehr Getreide anzubauen. Und tatsächlich schaffte es Burkina Faso damals vorübergehend, seine Bevölkerung zu ernähren. Sankara verstaatlichte wichtige Unternehmen. Anders als die Machthaber im Ostblock verstand er es aber, die Menschen für ei¬genverantwortliche Arbeit zu begeis¬tern. Er brachte Freiwillige dazu, hunder¬te Kilometer Eisenbahnschienen zu verle¬gen. Er ließ Bäume pflanzen, um das Aus¬breiten der Wüste einzudämmen.

S ankara war ein visionärer Pragmati¬ker", erinnert sich Jean Ziegler. Der Schweizer Politiker und Soziologe war von dem burkinischen Offizier so beeindruckt, dass er noch zu dessen Lebzeiten ein Buch über ihn verf asste. „Sankara be¬reicherte sich nicht selbst", erzählt er. Kaum war er an der Macht, gab Sankara dem ehemaligen Obervolta den Namen Burkina Faso, was „Land der Aufrichti¬gen" bedeutet. Er verkaufte die Merce¬des-Staatslimousinen und investierte das Geld in Brunnen und Schulen. Die Minister mussten, wie er selbst, im Re¬nault R 5 fahren. Den Beamten kürzte er den Lohn und verlangte, dass die Hälfte des Gehalts auf das Konto der Ehefrauen ausbezahlt werde, „damit es nicht versof¬fen wird". Er verbot die Beschneidung und holte Frauen in die Regierung.

Sankara, eines von zehn Kindern einer katholischen Familie, durchlief Militär¬schulen in Madagaskar, Frankreich und Marokko. Er erlebte mehrere Putsche, saß im Gefängnis und kam 1983 selbst durch einen Staatsstreich an die Macht. Auch Sankara hatte autoritäre Züge. Er entließ Lehrer, die mehr Lohn forderten. Er bekämpfte Gewerkschaften, weil er sie als Einfallstor des imperialistischen Westens betrachtete. Er installierte Re¬volutionskomitees, die ihre Ideen gele¬gentlich mit Gewalt durchsetzten.

Umbringen ließen ihn nicht seine poli¬tischen Gegner. Wahrscheinlich steckte sein Weggefährte Blaise Compaore da¬hinter. Der ist seither Präsident von Bur¬kina Faso. Auf Sankaras Totenschein steht, er sei eines „natürlichen Todes" ge¬storben. Seine Witwe Mariam und seine beiden Kinder warten immer noch auf ei¬ne offizielle Untersuchung der Todesum-stände. Seit zwanzig Jahren.

JUDITH RAUPP

Süddeutsche Zeitung Montag, 15. Oktober 2007

 

 

 

 

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